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EVA & ADELE

Robert Fleck

EVA & ADELE sind ein wesentliches Ereignis der Kunst der neunziger Jahre. Die Behauptung mag affirmativ erscheinen, rechtfertigt sich aber bereits durch den Grad der Präsenz im Kunstgeschehen, den die beiden Künstler mit ihrer gemeinsamen Werkperson in diesem Jahrzehnt erzielten. Nur ganz wenige Künstler waren in dieser Zeit im Kunstgeschehen ebenso gegenwärtig wie EVA & ADELE.

Die spezielle Bezugnahme auf die neunziger Jahre drängt sich auf, wenn man die Werkperson EVA & ADELE diskutiert. Denn der erste große gemeinsame Auftritt im Kunstbetrieb als "EVA & ADELE" fand bei der Eröffnung der Ausstellung "Metropolis" im Mai 1991 im Berliner Martin-Gropius-Bau statt. Öffentliches Erscheinen gab es zwar bereits zuvor. Der Auftritt als Hochzeitspaar bei "Metropolis" aber bildete den Ubergang zur heute bekannten Präsenz bei Kunstereignissen.(1) "Metropolis" war die erste internationale Grossausstellung nach dem Zusammenbruch des Kunstmarkts im Gefolge des Golfkrieges. Dies schuf Anfang der neunziger Jahre Raum für eine strenge, neokonzeptuelle Ästhetik körperkünstlerischer oder institutionskritischer Ausrichtung, die in einer spektakulären ästhetischen Wende mit der pompieristischen Kunst der späten achtziger Jahre brach. EVA & ADELE sind mit diesen spezifischen künstlerischen Fragestellungen der neunziger Jahre in mannigfaltiger Weise verwoben. Sie sind also durchaus ein Ereignis der neunziger Jahre, auch wenn dies sprachlogisch falsch sein mag, denn EVA & ADELE sind physische Personen und solche können prinzipiell kein Ereignis sein. Jedoch sind in diesem Fall Kunst und Leben sowie Werk, öffentliches Erscheinen und Person in solchem Maß verwoben, daß der Satz inhaltlich zutrifh.Der Kunstbetrieb hat EVA & ADELE nur zögerlich und partiell wahrgenommen. Zunächst galten EVA & ADELE als Off-Künstler. Erst in letzter Zeit wurde ihr Werk beziehungsweise die Konstruktion einer buchstäblichen Werkperson als Performance-Kunst diskutiert. Weitgehend unbekannt ist dagegen nach wie vor die komplexe Verbindung von theoretischer Reflexion, öffentlichem Erscheinen im Kunstkontext und normalem Leben. Dies geht mit dem Aufbau einer neuen Ökonomie des Künstlers sowie eines malerischen Werkes einher. Gerade diese Vielfalt und der bewußt universelle Anspruch aber machen EVA & ADELE beispielhah für die künstlerischen Probleme der letzten Jahre.

Entscheidend ist dabei, daß die beiden Künstler beständig an Schnittstellen verschiedenster Art in Erscheinung treten. Die erste Schnittstelle ist jene zwischen Off-Kunst und etabliertem Kunstbetrieb. Seit "Metropolis" kommen EVA & ADELE zu großen Ausstellungseröffnungen, Kunstmessen, documenten und Biennalen zwar nicht unangemeldet, aber ungebeten. Sie bedienen sich des Mediums der Ausstellung, ohne zuvor als Künstler zur Teilnahme eingeladen worden zu sein. Deshalb wurden sie anfangs mit jenen zahlreichen Off-Künstlern verwechselt, die bei derartigen Großereignissen regelmäRig vor dem Ausstellungsgelände Werke zeigen oder Widerspruch manifestieren. Ihre Bitte um Karten für die Eröffnungstage beantwortete die Pressesprecherin der "documenta IX" 1992 mit den Worten: "Karten sind an der Kasse erhältlich". Bereits sieben Tage vor Pressekonferenz und offizieller Eröffnung begannen EVA & ADELE vom Campingplatz Kassel aus, ihre regelmässigen Bahnen durch das documenta-Areal zu ziehen. Eine Meldung der Deutschen Presseagentur führte damals dazu, daß dutzende Zeitungen EVA und ADELE als "Exzentriker und Paradiesvögel" präsentierten, die anlässlich der documenta nach Kassel gekommen seien. Bereits bei dieser documenta aber wurde deutlich, daß es sich um ernsthafte Künstler handelt, deren öffentliches Erscheinen ein ambitioniertes Kunstwerk an der Grenze von Kunst und Leben sowie von Kunstbetrieb und Mediengesellschaft darstellt. Der "Stern" bezeichnete die beiden Künstler schon im Sommer 1992 als "documenta-Stars", obwohl sie offiziell gar nicht an der documenta teilgenommen hatten.

Von der Off-Kunst und der Alternativszene führt üblicherweise keine Brücke zum Kunstgeschehen. Die Off-Szene vor den Toren der documenta und der Biennale von Venedig bildet ein Ghetto, aus dem fast niemals ein guter Künstler hervorgeht. EVA & ADELE aber gehörten bereits damals nur scheinbar dieser Off-Szene an. Im Gegensatz zu den Künstlern vor den Biennale-Toren bewegten sie sich innerhalb der Ausstellung. Zudem ist ihrem öffentlichen Erscheinen eine präzise Werkform zu eigen. Es handelt sich um zwei professionelle Künstler mit Ausstellungserfahrung und theoretischer Vorbildung, die die Form der OffKunst nur gebrauchen, um ihrer Arbeit eine ganz besondere Stellung im Kunstbetrieb zu verschaffen. Im persönlichen Gespräch fällt auf, wie sehr diesem gemeinsamen Werk eine Reflexion über das Kunstgeschehen am Ende der modernen Kunst zugrunde liegt, was mit einer Theorie zur Position des Künstlers gegenüber dem Sozialen und zur Rolle des Museums einhergeht. Anders gesagt, diese gemeinsame Werkperson ist alles andere als naiv. Zwar werden die theoretischen Uberlegungen beim öffentlichen Erscheinen nicht deklamiert und auch nicht selten Selbstkommentar verbreitet. Das Werk ist stumm und steht als visuelles Statement für sich selbst. Die Arbeit von EVA und ADELE aber ist stark reflexiv ausgerichtet. Ästhetische Anleihen an die Off-Kunst erscheinen in diesem Zusammenhang als künstlerische Strategie. Diese Schnittstelle von

Off -und Hoch-Kunst entwertet auch Vergleiche mit älteren Performance-Künstlerpaaren, die bisweilen zitiert werden. EVA & ADELE bewegen sich innerhalb derKunstschau scheinbar natürlich wie Ausstellungsbesucher umher, während sie durch ihr hermaphroditisches Wesen und die Kleidung als öffentliches Kunstwerk kenntlich sind. Auch die eingeschlagenen Gehwege und die Choreographie ihres Auftritts sind vorher festgelegt wie bei einer genau durchdachten Performance. Zur Biennale von Venedig 1993 erschienen sie in einem rosa Flügelkostüm, eine Weltkugel tragend, in einem präzisen Zeitrhythmus für jeden Länderpavillon, während ein Photo der Aktion in Postkartenform den Ausstellungsbesuchern als Souvenir verblieb.(2 ) Die Anklänge an die Ästhetik der Off-Kunst und die bewußte Verwendung von schlechtem Geschmack schaffen innerhalb des künstlerischen Großereignisses eine Reibungsfläche. Sie bewirken in der Kunstwelt jenes soziale Ereignis, das im Zentrum der Uberlegungen von EVA & ADELE steht.

Die zweite Schnittstelle, an der EVA & ADELE sich bewegen, ist jene zwischen den Medien und der Ausstellung. Im Kunstgeschehen der letzten Jahre verschafften sich EVA und ADELE zunehmend Respekt. Dies hängt mit der Ausdauer zusammen, die die beiden Künstler beweisen. Anfangs dachte mancher an einen vorübergehenden Gag. Ab Mitte der neunziger Jahre führte die Konstanz an öffentlicher Präsenz von EVA & ADELE etwa bei Großeröffnungen und Galerietagen zu einem ersten Stimmungsumschwung. Man bewunderte, wie die beiden Künstler die vielen Reisen finanziell durchhielten. Zudem kann niemand den beiden mondäne Absichten unterstellen, denn Jetsetter und Partylöwen sind sie gewiss nicht. Seit dem Körperkunst-Revival der frühen neunziger Jahre erscheinen EVA und ADELE zudem als Protagonisten jener Neudefinition des Körperbegriffs, um den sich ein Teil der aktuellen Kunst dreht.

Noch wichtiger erscheint die vielfältige Thematisierung der Medien durch ihre gemeinsame Werkperson. EVA & ADELE lassen sich von Passanten und anderenAusstellungsbesuchern frei photographieren. Angesichts ihrer aus kollektiven Phantasmen collagierten Kleidung und ihrer heutigen Berühmtheit zählen sie zu den meistphotographierten Personen der Kunstwelt. Erst als Folge der Akzeptanz durch das Publikum, traten auch die Massenmedien auf den Plan. Heute bedienen sich elektronische und Printmedien mit Vorliebe des Konterfeis von EVA & ADELE als eines Emblems für zeitgenössische Kunst. Was anfangs als Beispiel für Außenseiter der Kunstwelt herhielt, gilt heute als "visueller Aufhänger" für die Berichterstattung von Kunstmessen und Biennalen.(3) Durch ihre Popularität und durch die Verbreitung ihres Bildes in den Medien ist EVA und ADELE zu einer Attraktion geworden, deren Bekanntheitsgrad außerhalb der Kunstwelt denjenigen zahlreicher Künstlerstars überschreitet. Diese zentrale Stellung der Medien in ihrer Arbeit wurde von den beiden Künstlern von Anbeginn einkalkuliert. Die Publizitätsebene ihres Werkos hat sich vom Galerie- und Museumsraum, dem üblichen Forum für Kunst, weitgehend auf den Medienraum verschoben. Obgleich kommentarlos, löst ihr Erscheinen in der Öffentlichkeit sowohl bei Amateurphotagraphen als auch bei professionellen Kameraleuten eine Abbildungswut aus, in der das Spiel der Medien mit der Kunst sich gleichsam von selbst thematisiert. Im Zusammenhang mit Urheberrechtsfragen an Medienphotos und Reportagen ergibt sich zudem eine neue Definition der Ökonomie des Künstlers. Dieser lebt potentiell von den Rechten an dem von ihm kreiierten, massenhaft verbreiteten Bild.

Die dritte Schnittstelle im Werk von EVA & ADELE betrifft die Grenze zwischen dem Bereich des Kunstgeschehens und der sozialen Realität. Wenige Leute aus dem Kunstbetrieb sind sich dessen gegenwärtig, daß die beiden Künstler ihre gemeinsame Werkperson nicht nur bei Kunstereignissen darstellen, wie Vernissagen und Kunstmessen, sondern auch im Alltag. Selbstverständlich verschieben sichder Sinnkontext und die Reaktionen diametral, je nachdem, ob EVA & ADELE in ein Kunstereignis oder Brot kaufen gehen. Gerade diese weitgehend unbekannte Dimension aber gibt ihrer Arbeit die Legitimität. Im gewöhnlichen Alltag wird der Status von EVA & ADELE als öffentliches Kunstwerk zwar nicht vollständig aufgehoben, da viele Passanten bereits Zeitungsphotos oder Fernsehberichte über die Künstler EVA & ADELE gesehen haben und sich ihr Beruf auch in der Nachbarschaft herumgesprochen hat. Doch beim Erscheinen im Alltag wird der Künstlerstatus bis an die Grenze des normalen Lebens aufgeweicht. Zurufe von Passanten wie: "Die haben wenigstens etwas aus ihrem Leben gemacht!" weisen auf die besondere Nähe hin, die Leute außerhalb des Kunstkontextes zu EVA & ADELE als lebenskünstlerischen Künstlern verspüren. In Zonen sozialen Konflikts wie Trabantenstädten können die Reaktionen dagegen heftiger ausfallen, da sich in diesen Fällen die Ablehnung von Abweichungen jeder Art, sei sie ethnischer, sexueller oder ästhetischer Art, unmediatisiert und fern jeglichen Kunstbegriffs äußern kann. Die Reise im Campingbus führt sie häufig in diese Zonen.(4 ) Es geht dabei nicht nur um die Radikalität einer Geste, die das gesamte Leben in ein präzise durchgestaltetes Kunstwerk verwandelt. EVA & ADELE bilden darüber hinaus bewußt eine Brücke zwischen der Kunstwelt und der sozialen Sphäre, einen der wenigen Berührungspunkte, an dem sich die beiden Bereiche tatsächlich berühren. So sind EVA & ADELE für viele Zeitgenossen ein Symbol geworden, das schlechthin für den Künstler steht. Für die Kunstwelt wiederum bilden EVA & ADELE eine Gestalt, die von einer nicht genau definierbaren Stelle in der Gesellschah an der Grenze von Kunstwelt und sozialem Umfeld kommt. Im Vergleich mit der neokonzeptuellen Sozialkunst der neunziger Jahre ließe sich eine Überlegung weiterführen, die Boris Groys einmal zu Picasso und Warhol äußerte: während Warhol die außerkünstlerische Bilderwelt aufgegriffen habe,um Hochkunst zu schaffen, erklärte sich Picassos unerreichte Popularität daher, daß er die Hochkunst und die Kunstgeschichte in die außerkünstlerische Sphäre verlagert und im Rahmen der Populärkunst abgehandelt habe. Ähnlich könnte man sagen, daß die aktuelle Kunst der politischen Korrektheit das Soziale von der hochkünstlerischen Warte aus thematisiert, der sie sich nahtlos einfügt, während EVA & ADELE eine Reflexion über Hochkunst aus der unmittelbaren Arbeit im Sozialen betreiben, aus der symbolischen Produktion in der gesellschahlichen Realität.

EVA & ADELE haben bewußt keine Biographie vor ihrem gemeinsamen Werk, das 1991 mit dem öffentlichen Erscheinen bei "Metropolis" einsetzt. Sie nennen auch keine Einflüsse auf ihre Arbeit, in der Uberzeugung, daß diese Arbeit frei bleiben müsse vom kunsthistorischen Konstrukt und von der Kurzlebigkeit des kommerziellen Kunstmarkts. Künstler aber haben es auch an sich, Vorgänger und frühere Epochen in neuer Weise interpretierbar zu machen. Im Fall von EVA & ADELE gilt das etwa für Joseph Beuys. Bei Beuys finden sich mehrere Verfahren vorgegeben, die EVA & ADELE dann in ihrem Kunstwerk ausformten. Beuys' berühmter Hut hatte gegenüber einer kunstexternen Öffentlichkeit eine ähnliche Funktion wie die phantastischen Kleider von EVA & ADELE. Heute sind EVA & ADELE beim breiteren Publikum der Medienkonsumenten fast ebenso bekannt und legendär wie seinerzeit Beuys. Auch dieser spürte die Kraft der Medien und erhob sie zunehmend zum Thema. Auch er wirkte auf die Leute im Alltagszusammenhang der Straße ebenso stark wie auf die Insider des Kunstgeschehens. Und letztlich kam auch Joseph Beuys aus einer scheinbaren Off-Kunst-Haltung, weshalb ihn der Kunstbetrieb vergleichsweise spät akzeptierte. EVA & ADELE verfolgen gewiss ein anderes, nahezu ideologiefreies Anliegen, das dem postutopischen Zeitalter der neunziger Jahre näherkommt. Doch eine Parallele mit Beuys gibt es tatsächlich: EVA & ADELE verkörpern heute international für viele Leute die Figur eines Künstlers, der an die Kunst glaubt und nicht davor zurückschreckt, daß das Werk zum Leben wird.


1 Es ist in diesem Zusammenhang der Wortlaut des Schreibens der Künstler an Christos M. Joachimides vom 3. Dezember 1990 von Interesse: "wir haben die idee und den wunsch, zu dem von ihnen geplanten ausstellungsprojekt »METROPOLIS« im MARTIN-GROPIUS-BAU ein "bild" darzustellen, das auch in unserem materialisierten werk ein zentrales thema einnimmt.«

2 Mittlerweile kennt die Kunstwelt EVA & ADELE in drei verschiedenen Flügel-Kostümen.

3 "Natürlich mit EVA und ADELE. "Art Cologne"eröffnet - Gute Stimmung«, titelte der Köiner Stadt-Anzeiger am 11. 11. 1993 zur Eröffnung der Köiner Kunstmesse. Diese Beispiele sind Legion, und zwar in vielen Ländern. Vgl. Süddeutsche Zeitung, 18. 6. 1997, S. 13, "Biennale Venedig": "Blow-up. EVA & ADELE [. ..] im Schweizer Biennale-Pavillon"

4 Diese Dialektik des Kunstbegriffs kann sich sogar mitten in Kulturhochburgen einstellen. Am 24. März 1996 verwehrten Angestellte der (privaten) Wachdienste am Grand Louvre in Paris EVA und ADELE den Zugang mit der Begründung, Leute dieser Art hätten im "grössten Museum der Welt" nichts zu suchen. Paragraph 20 der Hausordnung des Louvre schreibt den Besuchern »une attitude correcte« vor. Andere Besucher ergriffen für EVA und Adeie Partei. Die Wachleute drohten mit der Polizei. Bereits vorher hatte es mehrfach handgreifliche Zwischenfälle gegeben. Typischerweise erkannten am nächsten Morgen die Kustoden in den Büros des Louvre EVA & ADELE sofort - auch als Künstler. Der Kunstbegriff bietet ihnen auch im täglichen Leben einen minimalen Schutz. In den gesellschahlichen Zonen, in denen der Kunstbegriff nicht greift, müssen sie grosse Autorität und Mut aufbringen.

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